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Prof. Dr. Klaus Böhme, Berlin

EuGH urteilt zur Transparenz bei Direktzahlungen der Europäischen Union

Wir haben uns an dieser Stelle wiederholt und sehr ausführlich mit der Transparenz bei den Direktzahlungen der EU an Landwirtschaftsbetriebe beschäftigt.1 Mit großer Aufmerksamkeit wurden sowohl die Politik der EU-Kommission zur unbedingten Durchsetzung ihrer Auffassung auf der einen Seite sowie die ernsthaften Einwendungen dagegen andererseits beleuchtet. Auch die hinter den unterschiedlichen Ansichten stehenden Absichten verschiedener politischer Kreise wurden dokumentiert, analysiert und archiviert.2

Transparenz wieder auf der Tagesordnung

Der Anlass dafür, diese Frage erneut auf die Tagesordnung zu setzen, waren die Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 17. 6. 2010 in den verbundenen Rechtssachen  C-92/09 und C-93/09.3 

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ersuchte bekanntlich den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung dazu, ob die Veröffentlichung der EU-Zahlungen an Landwirte generell und in der vorgeschriebenen Form mit höherrangigem EU-Recht vereinbar ist. Die Wiesbadener Richter hatten schwerwiegende Zweifel und begründeten diese in ihrem Antrag auch ausführlich.4 

Anfang  2009 entschieden mehrere deutsche Gerichte zu diesen Fragen ganz unterschiedlich. Bundesministerin Aigner nahm diese unklare Rechtslage zum Anlass, am 22. 4. 2009 das Aussetzen der für Ende April 2009 vorgesehenen Veröffentlichung von Empfängern der EU-Direktzahlungen vorzuschlagen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) unterstützte diesen Vorschlag.

Kommissarin drohte Deutschland

EU-Agrarkommissarin Fischer Boel reagierte darauf aber ungewöhnlich scharf. Sie betonte die vorgeblich sichere und klare Rechtslage im Zusammenhang mit der EU-Transparenz-initiative und mit den von Deutschland mit beschlossenen EU-Regeln zur Veröffentlichung. Sie drohte Deutschland und besonders Bayern – das den aktivsten Wiederstand leistete – mit einem Vertragsverletzungsverfahren und empfindlichen Geldstrafen.5 Daraufhin wurde die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) angewiesen, die Angaben zu veröffentlichen, was dann mit einer zeitlichen Verzögerung auch geschah. In der Regel halten die Länderbehörden die Angaben aber in jenen Fällen zurück, in denen eine Gerichtsentscheidung das gebietet bzw. eine Gerichtsverhandlung noch nicht beendet ist oder von dem Betroffenen ein Einspruch gegen die Veröffentlichung seiner Daten vorliegt. Eine erneute Veröffentlichung auf den Seiten der BLE erfolgte Ende April 2010.

Berechtigte Zweifel

Die Generalanwältin stellte nun Mitte diesen Jahres – wenige Monate nach der erneuten Veröffentlichung – fest, dass die vom Wies­badener Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel zumindest zum Teil berechtigt sind. Sie meinte, dass – wie es jetzt auch das vorliegende Urteil 6 bestätigt –

  • die VO (EG) 1290/2005 des Rates (Fassung der VO 1437/2007) teilweise und
  • die zu deren Durchführung erlassene VO (EG) 259/2008 der Kommission insgesamt ungültig sind.

Bereits im Zusammenhang mit den Schlussanträgen wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Veröffentlichung der EU-Zahlungen auf den Internetseiten der BLE auszusetzen, da – allen bisherigen Erfahrungen entsprechend – der Gerichtshof in aller Regel weitgehend den Schlussanträgen folgt. Die umfangreiche, gründliche Ausarbeitung von Generalanwältin Sharpson gab keinerlei Anlass zu glauben, dass es diesmal anders sein könnte. So ist es jetzt auch eingetreten.

Veröffentlichung ausgesetzt

Die BLE hat nun, allerdings erst nachdem die Pressestelle des EuGH am 9. November mitteilte, wie das Urteil der Großen Kammer in Luxemburg  ausgefallen ist, auf der von ihr betriebenen Internet-Seite www.agrar-fischerei-zahlungen.de mitgeteilt, „dass die Veröffentlichung von EU-Subventionsempfängern im Agrarbereich in der bisherigen Form nicht dem Gemeinschaftsrecht entspricht." Aus diesem Grund werde die Veröffentlichung bis zu einer Neuregelung der Vorschriften ausgesetzt. Während die Zahlungen an deutsche Empfänger zum Redaktionsschluss dieses Beitrages am 20. November nicht mehr zugänglich waren, konnte man sich zum gleichen Zeitpunkt z.B. über die Zahlungen an niederländische Empfänger noch informieren.

Die bisher offengelegten Daten können nicht mehr zurückgeholt werden. Sie sind „für Jedermann auf der Welt und für immer zugänglich"7. Auch darauf hatten die Kritiker hingewiesen.

Der EuGH hat dem Rechnung getragen und die von der EU-Kommission „irregeleiteten" Länderbehörden unter Schutz gestellt. In der Pressemitteilung zum Urteil heißt es: „In Anbetracht der großen Zahl von Veröffentlichungen, die in den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Rechtsvorschriften erfolgt sind, die als gültig angesehen wurden, erkennt der Gerichtshof darauf, dass die festgestellte Ungültigkeit dieser Bestimmungen nicht zulässt, die Wirkungen der Veröffentlichung … in Frage zu stellen, die die nationalen Behörden in der Zeit vor dem Tag der Verkündung des Urteils in diesen Rechtssachen vorgenommen haben."

Vom Tag der Verkündung des Urteils gilt dieser Schutz allerdings nicht mehr.

Überlegungen des Gerichts

Das EuGH betont, es sei zum einen davon auszugehen, dass sich die in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) anerkannte Achtung des Privatlebens hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf jede Information erstreckt, die eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person betrifft, und zum anderen, dass Einschränkungen des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten gerechtfertigt sein können, wenn sie denen entsprechen, die im Rahmen von Art. 8 EMRK geduldet werden. (RN 52)

Einschränkend wird festgestellt, dass sich juristische Personen auf den o.g. Schutz nur berufen können, „soweit der Name der juristischen Person eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt“. (RN 53)

Unbestritten ist für die Richter, „dass die Beträge, die die betroffenen Empfänger aus dem EGFL und dem ELER erhalten, einen – häufig beträchtlichen – Teil ihrer Einkünfte ausmachen. Die Veröffentlichung von Daten mit den Namen dieser Empfänger und den genauen Beträgen, die sie erhalten haben, auf einer Internetseite stellt aufgrund der Tatsache, dass Dritte Zugang zu diesen Daten erhalten, somit einen Eingriff in ihr Privatleben im Sinne des Art. 7 der Charta dar.“ (RN 58)

Eine Einwilligung der Betroffenen liege nicht vor (RN 62, 63), weshalb geprüft werden muss, ob es eine in der Charta verankerte Rechtfertigung für einen derartigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte gibt.

Hier betont das Urteil, dass die mit der Veröffentlichung beabsichtigte Transparenz der Verwendung von Steuermitteln eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verfolgt (RN 71).

Die Kritik an den konkreten Regeln geht aber davon aus, dass

  • der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignete Mittel zu verwenden und nicht über das dazu Erforderliche hinauszugehen (RN 74),
  • nicht ausreichend zwischen Persönlichkeitsrechten und Interesse an Offenlegung abgewogen wurde und
  • einschlägige Kriterien (Zeiträume, Häufigkeit, Art und Umfang) nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

 Es ist abzuwarten ob, wie und in welchem Zeitraum die sehr detaillierten Vorgaben des EuGH nun umgesetzt werden können.

Zum Umgang mit den offengelegten Daten

Ganz abgesehen von den komplizierten Rechtsabwägungen zwischen Transparenz, Datenschutz und Persönlichkeitsrechten, wie sie in dem hier diskutierten Urteil des EuGH bis ins letzte Detail europarechtlich bewertet werden, gibt es auch einige allgemeine Grundsätze, die beachtet werden sollten. So hat die Transparenz keinen Wert an sich. Es kommt immer darauf an, wie mit den offengelegten Daten umgegangen wird. Das kann von politischem Mißbrauch über Unverständnis bis zu einer klugen und nützlichen Abwägung gehen.

Es ist offensichtlich wenig sinnvoll, dem Bürger eine Flut von Roh- und Detaildaten vorzulegen, die er selbst nicht sinnvoll nutzen kann. Das ist aber mit der Veröffentlichung der Empfänger von EU-Direktzahlungen geschehen. Neben der rechtlichen Abwägung gibt es auch eine von Nutzen und Aufwand.

 

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Quellen:

  1. Eine umfassende Darstellung mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen finden Sie in: K. Böhme, Transparenz und Schutz von persönlichen und Unternehmensdaten, NL-BzAR 2009, 130 ff.; Ders., Vom Umgang mit der Transparenz, NL-BzAR 2009, 312 ff.? m.?w.?N.?* Siehe auch NL 7/2006, S. 20 f und 5/2007, S. 20 ff.
  2. Umfassendes Material finden Sie unter www.Agrarrecht.de – Aktuelle Themen – EU-Agrarpolitik.
  3. EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 17. 6. 2010. Verbundene Rechtssache C-92/09 und C-93/09 auf www.curia.europa.eu.*
  4. ABl. C 129/4 v. 6. 6. 2009*; VG Wiesbaden, Beschluss v. 27. 2. 2009 – 6 K 1045/08.Wi in NL-BzAR 2009, 206 ff.
  5. Siehe K. Böhme, Vom Umgang mit der Transparenz, NL-BzAR 2009, 312 ff.*
  6. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 9. 11. 2010 – C-92/09 und C 93/09, Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) mit Entscheidungen vom 27. 2. 2009  in den Verfahren Volker und Markus Schecke GbR (C?92/09), Hartmut Eifert (C?93/09) gegen Land Hessen, www.curia.europa.eu.* Siehe die Pressemitteilung und die Zusammenfassung des Urteils auf S. 481 in diesem Heft.
  7. NL-BzAR 2009, 312.