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RA Dr. Thorsten Purps, Potsdam*

Seit dem 1.1.1992 erfüllt die BVVG in Geschäftsbesorgung durch gesonderte Absprachen mit der BvS den Privatisierungsauftrag gemäß § 1 Abs. 6 TreuhG. Die geschätzte Gesamtnutzfläche im Bereich der Landwirtschaft betrug zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung ca. 4,86 Mio. ha. Circa 1/3 dieser Gesamtfläche befand sich im staatlichen Eigentum1. Insgesamt existierten 3.844 landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) sowie 515 volkseigene Güter (VEG). Die aus dem staatlichen Bodenfonds (Volkseigentum) hervorgegangenen landwirtschaftlichen Flächen (1,62 Mio. ha) wurden zunächst auf der Grundlage des Übertragungsgesetzes vom 6. 3.199?2 geregelt, mit der Maßgabe, dass den LPG und anderen Produktionsgenossenschaften im Bereich der Landwirtschaft die Möglichkeit eingeräumt wurde, die von ihnen genutzten, volkseigenen landwirtschaftlichen Flächen gegen Entgelt als Eigentum zu erwerben. Damit sollte das umfassende Nutzungsrecht der LPG nach § 18 LPG-Gesetz mit den Eigentumsverhältnissen an Grund und Boden durch entgeltliche Erwerbsvorgänge in Einklang gebracht werden. Dieses Übertragungsgesetz schlug jedoch fehl, weil von der Regelung effektiv kaum Gebrauch gemacht wurde. Privatisierungseffekte konnten daher zum damaligen Zeitpunkt nicht festgestellt werden.3 Um eine Privatisierung und eine Anpassung an marktwirtschaftliche Bedingungen in der Landwirtschaft gleichwohl zu ermöglichen, entschied sich der Gesetzgeber kurzerhand, für den Bereich der volkseigenen Grundstücke, die land- oder forstwirtschaftlich von LPG genutzt wurden, eine gesonderte gesetzliche Regelung zu schaffen. Dabei handelte es sich um das Übertragungsgesetz Landwirtschaft vom 22. 7. 19904. Die unternehmerischen Bereiche wurden demgegenüber mit dem Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft (im Folgenden LwAnpG) vom 29. 6. 19905 geregelt.

In Vollziehung des Übertragungsgesetzes Landwirtschaft wurde unter Rückgriff auf § 1 Abs. 6 TreuhG geregelt, dass ab sofort für die Privatisierung dieses volkseigenen landwirtschaftlichen Vermögens in der Land-/Forstwirtschaft die Treuhandanstalt zuständig ist. Kernpunkt dieses Gesetzes war die Zuordnung des von den LPG und Einzel­personen genutzten landwirtschaftlichen Volkseigentums zugunsten der Treuhandanstalt gemäß § 3 TreuhG. Damit wurde auf einen Schlag ex legem der gesamte (volkseigene) landwirtschaftliche Bestand von 1,62 Mio. ha mit Inkrafttreten des Übertragungsgesetzes auf die Treuhandanstalt übertragen, soweit sich diese Grundstücke in Rechtsträgerschaft der LPG befand. Diese Aufgaben erfüllt nunmehr seit dem 1. 1. 1992 die BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. Von den 1,62 Mio. ha landwirtschaftliche Fläche hat die BVVG zwischenzeitlich per 31.12. 2010 1,257 Mio. ha privatisiert.6 Die verbleibenden ca. 363.000 ha unterliegen nunmehr u.?a. den Sonderregelungen des 2. Flächenerwerbsänderungsgesetzes vom 30. 3. 20117. Von den ursprünglich insgesamt 3.844 LPG sind nach vorläufiger Schätzung nur noch ca. 1.000 umgewandelte Genossenschaften übrig geblieben8. Circa 450 umgewandelte Genossenschaften sind allein dem Genossenschaftsverband e.V. angeschlossen. Die Nachfolgeorganisationen der früheren LPG haben sich überwiegend als langfristige Pächter an dem Flächenerwerbsprogramm nach den Bestimmungen der Flächenerwerbsverordnung (im Folgenden FlErwV) sowie der Regelung in § 3 Abs. 1, Abs. 2 des Ausgleichsleistungsgesetzes (im Folgenden AusglLeistG) beteiligt. Nach diesen Regelungen konnten u.a. LPG sowie deren Nachfolgebetriebe landwirtschaftliche Flächen erwerben, wenn sie diese zuvor langfristig gepachtet hatten und die übrigen Voraussetzungen (Betriebskonzept, Qualifikation des Betriebsleiters u.a.) vorlagen.9 Zieht man die verbilligten Käufe für Alteigentümer (Preisnachlass von rund 35 %) ab, standen von insgesamt 1,62 Mio. ha ehemals volkseigener landwirtschaftlicher Flächen (in der Verwaltung der BVVG) rund 1,12 Mio. ha zur Vergabe nach den Regelungen der §§ 3 f. AusglLeistG i.V.m. § 5 FlErwV zur Verfügung. Bereits im Mai 2005 wurden durch den Bundesrechnungshof Bewertungsfragen bei der Veräußerung der landwirtschaftlichen Flächen durch die BVVG kritisiert. In einer Mitteilung des Bundesrechnungshofs an die BVVG vom 30. 5. 200510 wurde die großzügige Bewertungspraxis der BVVG unter Rückgriff auf so genannte regionale Wertansätze bemängelt, die effektiv zu einem niedrigen Preisniveau im landwirtschaftlichen Sektor geführt hatten. Schon seit 2004 hatte im Vorfeld zu diesem Untersuchungsbericht des Bundesrechnungshofs eine spürbare Entwicklung der Bodenpreise nach oben begonnen. In seiner Stellungnahme anlässlich der Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zum 2. Flächenerwerbsänderungsgesetz hatte der Landwirtschaftsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Till Backhaus, auf die geradezu explosionsartige Entwicklung der Grundstückspreise in der Landwirtschaft hingewiesen. Wurden im Jahre 2004 durchschnittliche Hektarpreise von 4.100,00 € erzielt, lagen die Preise bereits Ende 2010 bei 8.200,00 €/ha. Bestätigt wird dies u.a. durch die aktuelle Berichterstattung in den öffentlichen Medien11. Diese Bodenwertentwicklung wirkt sich geradezu dramatisch auf verschleppte Antragsverfahren der BVVG nach § 3 AusglLeistG zulasten der LPG-Nachfolgeorganisationen aus. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass bei ordnungsgemäßer Bearbeitung von Anträgen auf käuflichen Erwerb nach Maßgabe der Bestimmungen des AusglLeistG der „Zuschlag“ ca. 4 bis 6 Monate später erfolgte. In zahlreichen Einzelfällen hat sich jedoch herausgestellt, dass die BVVG in erheblichem Umfang begründete Anträge der LPG-Nachfolgeorganisationen unbearbeitet liegen ließ. Dies wirft die Rechtsfrage auf, ob bei Vorliegen der Erwerbsvoraussetzungen nach dem AusglLeistG sowie der FlErwV den Antragstellern Schadensersatzansprüche gegen die BVVG zustehen. Zentraler Anknüpfungspunkt ist hier § 9 Abs. 2 TreuhG, der ausdrücklich vorsieht, dass im Rahmen der Privatisierung ein „Beschleunigungsgrundsatz“ gilt. Die Auswertung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen führt zu der Annahme, dass in Einzelfällen Ausgleichsansprüche gegen die BVVG aufgrund der Antragsverschleppung zugunsten der Nachfolgeorganisationen der LPG bestehen.

Rechtsgrundlagen für Ausgleichsansprüche gegen die BVVG

Für die Durchsetzung etwaiger Rechts­ansprüche gegen die BVVG finden die allgemeinen Rechtsgrundsätze über das Verwaltungsprivatrecht Anwendung. Mangels Behördeneigenschaft der BVVG ist insoweit der Zivilrechtsweg eröffnet.12

Vor den Zivilgerichten kann grundsätzlich ein Anspruch auf Teilrückerstattung des Kaufpreises gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. HS BGB i.V.?m. §§ 313 Abs. 1, 2, 315 Abs. 3 BGB durchgesetzt werden. Dies ergibt sich aus den verwaltungsprivatrechtlichen Bindungen, denen die BVVG im Rahmen der von ihr angewendeten Bestimmungen nach § 3 Abs. 7, § 7 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) i.V.?m. § 9 Abs. 1, § 5 Flächenerwerbsverordnung (FlErwV) unterworfen ist. Die Rechtsprechung hat u.a. anerkannt, dass die durch das Treuhand­gesetz und das AusglLeistG geregelte Privatisierung ehemals volkseigener land- und volkswirtschaftlicher Flächen eine öffentliche Aufgabe darstellen.13 Da gemäß § 9 Abs. 2 Treuhandgesetz im Rahmen der Privatisierung der Grundsatz gilt, die Verfahren zügig zum Abschluss zu bringen, ist bei „Billigkeitsprüfung“ im Sinne von § 316 BGB ein früher Zeitpunkt für die Festlegung des Bewertungsstichtages heranzuziehen (Erfahrungswerte ca. 3 bis 6 Monate nach Antragstellung auf Veräußerung der Flächen). Der Antragsteller hat im Anwendungs­bereich des § 315 BGB dann einen Rückerstattungsanspruch wegen der Festsetzung eines erhöhten Verkehrswertes aufgrund späterer Veräußerung der Grund­stücke, wenn eine Kaufpreisüberprüfungsklausel im Vertrag bestimmt wurde. Nach hier vertretener Ansicht besteht ein solcher Rückerstattungsanspruch auch im Rahmen eines einseitigen Bestimmungsrechtes der BVVG im Sinne von §§ 9 Abs. 1, 5 FlErwV aufgrund der strukturell schwächeren Vertragsposition des Antragstellers im Verfahren.

Darüber hinaus kann der Geschädigte einen Anspruch aus Schadensersatz aus c.i.c. gemäß § 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB gegen die BVVG geltend machen. Voraussetzung ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise14 die Begründung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH wird spätestens mit der Anforderung der Ausschreibungsunterlagen durch den Bieter zwischen diesem und dem Ausschreibenden ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis begründet.15 Ein vertragswidriger Pflichtverstoß liegt insbesondere dann vor, wenn die BVVG einen in Aussicht gestellten frühen Kaufvertragsabschluss praktisch nicht umgesetzt hat. Ein solcher Pflichtverstoß kann grundsätzlich auch dann angenommen werden, wenn eine nicht ordnungsgemäße, beschleunigte Bearbeitung der Anträge der am Bieterverfahren beteiligten LPG-Nachfolgeorganisationen im Raum steht, da § 9 Abs. 2 TreuhG ausdrücklich vorsieht, dass im Rahmen der Privatisierung der „Beschleunigungsgrundsatz“ gilt. In diesem Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH vom 19. 5. 200616 dem Geschädigten der Betrag zu ersetzen, um den er den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat.

Des Weiteren steht dem Antragsteller im Bieterverfahren ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 20,33 GWB zu. Die BVVG ist im Sinne von § 19 Abs. 3 GWB ein marktbeherrschendes Unternehmen. Eine unbillige Behinderung im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB kann aufgrund der Verstöße gegen den Beschleunigungsgrundsatz gemäß § 9 Abs. 2 TreuhG angenommen werden. Darüber hinaus liegt ein Fall der Diskriminierung gegenüber den Antragsstellern im Ausschreibungsverfahren im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB vor, wenn im Vergleich zu anderen (nachweislich) zügig durchgeführten Antragsverfahren der Geschädigte ohne sachlichen Grund die langjährige Untätigkeit der BVVG nach seiner Antragstellung hinnehmen musste. Der betroffene Antragsteller hat lediglich darzulegen und zu beweisen, dass eine unterschiedliche Behandlung mit diskriminierendem Charakter vorliegt. Kann der geschädigte Antragsteller nachweisen, dass er unter die Reglungen des § 3 Abs. 1 AusglLeistG i.V.m. § 1 Abs. 1 FlErwV fällt (langfristige Verpachtung von Grundstücken) reicht bereits die Darlegung aus, dass er im Vergleich zu einem anderen Bewerber (auch in einem anderen Ausschreibungsverfahren) ungleich behandelt wurde. Zu ersetzen ist in diesem Fall der Schaden, der in Folge der unbilligen Behinderung oder der Diskriminierung entstanden ist. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne die verletzte Handlung (unbillige Behinderung bzw. Diskriminierung) gestanden hätte. Hierbei wird es vornehmlich auf einen Schadensersatz in Geld gemäß § 250 BGB hinauslaufen.

Welche prozessualen Rechtsbehelfe stehen den betroffenen Nachfolgebetrieben der LPG zur Verfügung?

Als Klageart kommen die Leistungsklage sowie die Feststellungsklage in Betracht. Soweit mangels bisher abgeschlossener Kaufverträge zwischen der BVVG und dem Antragsteller noch eine fortlaufende Wertsteigerung des Bodenwertes in der Landwirtschaft die Höhe des Schadens bestimmen kann, wird insoweit neben der Leistungsklage die Feststellungsklage in Betracht kommen.17

Fazit

Grundsätzlich steht den am Flächenerwerbs- bzw. Vergabeverfahren beteiligten Agrargenossenschaften als LPG-Rechtsnachfolger bei Nachweis abgeschlossener langfristiger Pachtverträge im Falle des Verstoßes gegen den in § 9 Abs. 2 TreuhG verankerten Beschleunigungsgrundsatz durch die BVVG Schadensersatzansprüche sowie im Einzelfall Rückerstattungsansprüche zu.

 

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Quellen:

  1. Löhr, Der Kampf um das Volkseigentum: Eine Studie zur Privatisierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern durch die Treuhandanstalt (1990-1994), 1996, S. 15 ff.
  2. GBl. I S. 135.
  3. Försterling, Recht der offenen Vermögensfragen, 1993, Rn. 88.
  4. GBl. I S. 899.
  5. GBl. I S. 642; Försterling, a.a.O. Rn. 90.
  6. Geschäftsbericht BVVG 2010.
  7. Gesetz vom 21. 3. 2011, BGBl. I S. 450 Nr. 12 (Geltung ab dem 30. 3. 2011).
  8. Jochimsen, Beitrag in Top Agrar (10/2009).
  9. Beschluss des BVerfG vom 29. 4. 1996 – 2 BvG 1/93 (Streitigkeit zwischen dem Bund und dem Land Brandenburg).
  10. Geschäftszeichen III 1-2005-1102.
  11. Märkische Allgemeine Zeitung vom 13. 1. 2012 unter dem Titel: „Fast alle Äcker gehen an Bauern vor Ort, Bodenverwerter BVVG verkauft 42.800 ha Agrarfläche, knapp 600 Mio. € für den Bund“.
  12. BVerwG, Urt. v. 15. 11. 2000 – 3 B 10/00, BeckRS 2000, 31349814.
  13. BGHZ 148, 253, 259.
  14. BGH NJW 1998, 3640.
  15. BGH NJW 1998, 3336.
  16. NJW 2006, 3139.
  17. Hierzu grundsätzlich: OLG Rostock, Urt. v. 18. 10. 2007 – 7 U 105/06; BGH MDR 2005, 645; BGH MDR 1992, 664.