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Brief des Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes, Manfred Nüssel, an EU-Kommissar Dacian Ciolos vom 1. 2. 2011

Sehr geehrter Herr Kommissar,

die EU-Kommission hat kürzlich den Bericht über die Verteilung der Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Erzeuger im Jahr 2009 veröffentlicht. Dort stellte sie u.a. fest, dass die Direktzahlungen“…are not equally distributed in the European Union: 80 % of beneficiaries received about 20 % of the direct payments in 2009 …“.

Dies ist nach meiner Auffassung ein entscheidender Grund, warum die Kommission bei vielen Gelegenheiten ihre Besorgnis über die Art der Verteilung der Direktzahlungen unter den Landwirten zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb ist sie wohl mit Blick auf die GAP bis 2020 zu dem Ergebnis gelangt, die Einführung der Kappungsgrenze für die Direktzahlungen zur Prüfung vorzuschlagen. In ihrer Mitteilung sind für diese Idee keine näheren Beweggründe genannt worden. Im Zusammenhang mit den nun veröffentlichten Zahlen werden die Beweggründe der Kommission für ihren Vorschlag zur Kappung besser verständlich, aber auch noch weniger akzeptabel.

Aus den vorgelegten Statistiken eine Kappung in Erwägung zu ziehen, wird der Realität und den sehr unterschiedlichen Strukturen der landwirtschaftlichen Betriebe nicht gerecht. Zudem werden von der Kommission vielfältige Zielsetzungen miteinander vermischt, die von einem Instrument wie den Direktzahlungen sinnvoller Weise nicht gleichzeitig erreicht werden können.

Unter den landwirtschaftlichen Betrieben gibt es mittlerweile vielfältigste Erwerbs-, Bewirtschaftungs- und Kooperationsformen. Die Vorstellung einer in betrieblicher Hinsicht einheitlichen Landwirtschaft in Europa, die sich lediglich in einer nach Fläche oder Tierhaltung bemessenen Größe unterscheidet, gibt die Realität nicht korrekt wieder. Vielmehr unterscheiden sich die landwirtschaftlichen Unternehmen in hohem Maße u. a. nach dem Umfang, den sie zum Gesamteinkommen einer landwirtschaftlichen Familie beitragen und dem Grad der Kooperation mit anderen Landwirten. So gibt es Voll-, Neben- und Zuerwerbsbetriebe, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, GAEC’s in Frankreich und nicht zuletzt aus deutscher Sicht die Agrargenossenschaften in den neuen Bundesländern. All diese Betriebsformen sind mit den unterschiedlichen Flüssen von Direktzahlungen entweder an den Gesamtbetrieb oder an einzelne Gesellschafter verbunden. Mit der Einführung einer Kappungsgrenze beispielsweise in einer Höhe von 300.000 € würden für die Betroffenen sehr unterschiedliche, widersprüchliche ökonomische Wirkungen ausgelöst. Aus diesem Grunde lehnen wir aus Sicht der uns angeschlossenen Agrargenossenschaften mit Blick auf die von der Kommission präsentierten Zahlen zur Verteilung der Direktzahlungen die Einführung einer Kappungsgrenze erneut und mit Nachdruck ab.

Wir benötigen in diesem Zusammenhang in meinen Augen auch dringend eine klärende Diskussion über die Ziele, die mit den Direktzahlungen erreicht werden sollen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die von der Kommission verfolgten Ziele in den vergangenen Jahren offensichtlich einem Wandel unterlagen. Stand zunächst eine Kompensation für Einkommensverluste durch Preissenkungen im Mittelpunkt, so scheint es nunmehr um eine Sicherung der landwirtschaftlichen Einkommensstabilität in Verbindung mit der Unterstützung einer nachhaltigen Landwirtschaft zu gehen. In der Praxis werden die Direktzahlungen jedoch als Ausgleich u. a. für höhere Umweltstandards in der EU im Vergleich zu Drittländern verstanden.

Vor diesem Hintergrund kann ich die Zielsetzung der Kommission, eine gleichmäßigere Verteilung der Direktzahlungen aus sozialen Aspekten nicht nachvollziehen. Dies gilt umso mehr, als eine nähere Begründung für die Einführung dieser neuen Zielsetzung und mögliche Auswirkungen auf verschiedene Einkommensklassen in der strukturell damit wirtschaftlich sehr heterogenen Landwirtschaft Europas von der Kommission nicht vorgebracht wurde.

Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Kommissar, sehr dankbar, wenn Sie bei Ihren Vorschlägen zu den Direktzahlungen dem Aspekt der Gleichbehandlung einen hohen Stellenwert einräumen.