* GenoRechtAnwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
auf der Internationalen Grünen Woche 2017 in Berlin
Thema: Bodenkauf trotz Agrarpreiskrise!?
Termin: 24. 1. 2017, 11.00 – 14.00 Uhr
Ort: Messe Berlin, Großer Stern, Raum Hong Kong
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RA Florian Haase, Schwerin*
Hintergründe zum Vorlagebeschluss des VG Frankfurt (Oder) vom 28. 9. 2011 – VG 6 K 255/10
Nicht erst seit Veröffentlichung der Vorschläge für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2013 durch die Europäische Kommission am 12.10.20111, wird in Politik und Interessenvertretungen lebhaft diskutiert, wie die Agrarförderung bei schmaler werdendem Budget in der Zukunft aussehen soll. Streitige Schlagworte sind u.a. Degressivität und Deckelung der Direktzahlungen2 an landwirtschaftliche Betriebe. Ein Beitrag zu dieser Diskussion könnte, wenngleich mit ganz anderer Intention, das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) geliefert haben.
Progressive Modulation
Im Jahre 2009 trat die Verordnung (EG) Nr. 73/2009?3 in Kraft. Sie regelt bis heute die schrittweise Kürzung der Direktzahlungen an Agrarbetriebe im Rahmen der Betriebsprämienregelungen. Solche Kürzungen?4 waren schon zuvor im Jahre 2003 mit der Verordnung (EG) Nr. 1782/20035 eingeführt worden. Sie wurden dort als obligatorische Modulation bezeichnet. Der Kürzungssatz der obligatorischen Modulation betrug für die Jahre 2009 bis einschließlich 2012 jährlich nur 5 % der Direktzahlungen6. Er wurde mit der neuen Verordnung7 schrittweise um einen Prozentpunkt pro Jahr von 7 % im Jahre 2009 bis auf 10 % im Jahre 20128 angehoben9. Zusätzlich wurde eine Kürzung um weitere 4 Prozentpunkte von Direktzahlungen eingeführt, die 300.000 € im Jahr übersteigen10. Diese Neuregelung wird oft als progressive Modulation bezeichnet.
Europarechtswidrigkeit
Soweit die progressive Modulation über die ursprüngliche obligatorische Modulation hinausgeht, also betreffend alle Kürzungen, die 5 % der Betriebsprämie übersteigen, wird die Neuregelung für europarechtswidrig gehalten. Zu diesem Schluss kam ein Gutachten der Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs & Widmaier11. Tragend sind dabei im Wesentlichen drei Argumente. Die Neuregelung verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das im Europarecht verankerte Diskriminierungsverbot sei nicht eingehalten worden. Auch werde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt12. Dies veranlasste viele Betriebe –vor allem in Ostdeutschland, wo aus historischen Gründen zahlreiche Großbetriebe ansässig sind, die von der zusätzlichen Kürzung der Betriebsprämien über 300.000 € besonders betroffen sind – gegen die Bewilligungsbescheide, die solche Kürzungen enthielten, Widerspruch einzulegen. Alleine für das Antragsjahr 2009 wurden in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über 850 Widersprüche registriert13. Auch im Folgejahr ergriffen viele Betriebe bundesweit Rechtsmittel gegen die Kürzungen.
Musterklageverfahren
Unterstützt vom Genossenschaftsverband e.V.14 klagte eine brandenburgische Agrargenossenschaft vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) gegen den für europarechtswidrig gehaltenen Teil der Kürzung der Betriebsprämie 2009. Dieses Verfahren wird von den meisten Behörden und Gerichten als Musterverfahren angesehen. Gelänge es der Agrargenossenschaft ein Urteil zu erstreiten, nach dem die die obligatorische Modulation übersteigenden Kürzungen europarechtswidrig sind, würden sich Behörden und Gerichte in den laufenden Verfahren an dieser Entscheidung orientieren. Zum Teil haben Behörden schriftliche Vereinbarungen mit widerspruchsführenden Betrieben getroffen, nach denen beide das Ergebnis des Musterverfahrens für sich als verbindlich anerkennen.
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
Die Europarechtswidrigkeit der Kürzungsnorm kann aber nur der Europäische Gerichtshof (EuGH)15 bindend feststellen. Nationale Gerichte sind dazu rechtlich nicht befugt. Sie können aber den EuGH befragen, wenn sie Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer von ihnen anzuwenden Norm haben. Genau das ist im Musterverfahren nun geschehen. Mit Beschluss vom 28. 9. 201116 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Zum einen will das Gericht wissen, ob die Neuregelung des Art. 7 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 73/2009 gültig ist, soweit für die Jahre 2009 bis 2012 eine Kürzung der Direktzahlungen um einen höheren Prozentsatz als 5 % vorgesehen ist. Zum anderen wird der EuGH befragt, ob die Regelung des Art. 7 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 73/2009, also der zusätzliche Abzug von 4 Prozentpunkten bei Betriebsprämien von über 300.000 €, gültig ist.
Das Verwaltungsgericht begründet seine Vorlage damit, dass es nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jedem Wirtschaftsteilnehmer, bei dem ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt habe, offen stehe, sich auf den Vertrauensschutz zu berufen17. Diese Erwartung könne sich aus einem Erwägungsgrund der Verordnung ergeben, der eine Anpassung der Zahlungen zwar vorsieht, jedoch nur aufgrund nachgewiesener oder prognostizierter Marktentwicklungen oder der Haushaltslage, nicht aber auf Grund von rein politischen Erwägungen (Umschichtung der Mittel für andere Zwecke18). Das Gericht habe Zweifel, ob die Festsetzung erhöhter Kürzungssätze für die betroffenen Betriebe in diesem Sinne vorhersehbar war19. Das wäre aber Voraussetzung dafür, dass der Vertrauensschutz nicht greife.
Außerdem sei fraglich, ob die Prämissen des Verordnungsgebers aus dem Jahre 2009 zur Rechtfertigung der besonderen Belastung von Großbetrieben mit zusätzlichen Kürzungen zutreffen. Die von der klagenden Genossenschaft hierzu vorgetragenen Zweifel hält das Verwaltungsgericht ausdrücklich für berechtigt20. Es sei weder klar, dass größere Betriebe nicht dasselbe Niveau an individuellen Beihilfen benötigten, damit das Ziel der Einkommensbeihilfe erreicht werde. Noch treffe die zweite Prämisse ohne weiteres zu, nach der ihr Anpassungspotential es größeren Betrieben leichter mache, mit einem geringeren Niveau an individueller Beihilfe zu arbeiten. Das gelte auch für die dritte Prämisse, wonach es gerecht sei, dass Betriebsinhaber, die große Beihilfebeträge erhalten, einen besonderen Beitrag zur Finanzierung von Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums leisten sollen21.
Damit greift das Gericht die Argumentation aus dem Gutachten hinsichtlich Vertrauensschutz und Diskriminierungsverbot auf, nicht jedoch den Standpunkt, dass auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliege.
Auswirkungen des Vorlagebeschlusses
Das Musterverfahren wurde vom Verwaltungsgericht bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt. Auch andere Verwaltungsgerichte, bei denen Klagen gegen Bewilligungsbescheide anhängig sind, haben mittlerweile entweder die Aussetzung vorgesehen oder angeregt, dass die Parteien das jeweilige Verfahren durch eigene Anträge zum Ruhen bringen. Die behördlichen Verwaltungsverfahren waren in der Vergangenheit schon überwiegend ausgesetzt. Daher darf damit gerechnet werden, dass die Behörden laufende Verwaltungsverfahren weiter ruhen oder ausgesetzt lassen, jedenfalls aber keine weiteren Entscheidungen zu Lasten der Betriebe treffen. Denn dazu besteht nach den Äußerungen des Verwaltungsgerichts wenig Anlass.
Bewilligungsbescheide 2011
Natürlich kann nicht vorhergesagt werden, welche Anweisungen die zuständigen Behörden von den übergeordneten Landesministerien bezüglich der Bescheide für das Antragsjahr 2011 angesichts der neuen Entwicklung erhalten werden. Sicherlich wird man sich in den Ministerien mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts und der Tatsache, dass nun der Gerichtshof der Europäischen Union über die Gültigkeit der Kürzungsnorm zu entscheiden hat, auseinandersetzen. Andererseits steht nicht zu erwarten, dass die Behörden die angegriffenen Normen von sich aus unberücksichtigt lassen und die Beihilfen ungekürzt auszahlen.
Daher werden sich die Entscheidungsträger in den Betrieben damit befassen müssen, ob sie die Kürzung der Direktzahlungen für das Jahr 2011 hinnehmen oder die Bestandskraft der Bescheide verhindern. Denn sie haben gegenüber ihrem Betrieb in der Regel eine Vermögensbetreuungspflicht und dürfen die Bescheide nicht einfach bestandskräftig werden lassen, wenn sie deutliche Anhaltspunkte dafür haben, dass die Kürzungen rechtswidrig und die Bescheide damit zu Lasten der Betriebe falsch sein könnten.
Es ist demzufolge zu empfehlen, gegen alle künftigen Bescheide, die mehr als fünfprozentige Modulationskürzungen enthalten, rechtzeitig vorzugehen. Dazu muss zunächst nur fristgemäß Widerspruch eingelegt werden22. Das gilt nicht nur für die aktuellen Bescheide 2011, sondern auch für den Folgebescheid im Jahr 2012 mit nochmals erhöhter Modulationskürzung.
Aktuelle Diskussion zur künftigen GAP
Schon in der Vergangenheit haben deutsche Interessenvertretungen und zum Teil auch die deutsche Politik europäische Institutionen auf die Problematik der Benachteiligung von landwirtschaftlichen Großbetrieben im Rahmen der progressiven Modulation hingewiesen. Dies geschah weitgehend ohne Erfolg, anders als zum Beispiel vergleichbare Bemühungen für französische Interessen23. Nun aber muss sich die Kommission wieder mit dem Thema befassen. Denn der Europäische Gerichtshof stellt den Vorlagebeschluss nicht nur den Parteien des Rechtsstreits sondern auch (neben anderen) der Europäischen Kommission zur Stellungnahme zu. So kann der vom Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) für möglich gehaltene Verstoß gegen das Europarecht die aktuelle Diskussion zur künftigen Ausgestaltung der GAP beeinflussen. Denn die Kommission wird nicht riskieren, dass Kürzungen – wie die geplante Degressivität und Deckelung der Prämien24 – in Zukunft beibehalten oder gar ausgeweitet werden, die vom Europäischen Gerichtshof für europarechtswidrig erklärt werden könnten.
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Quellen: