*Wirtschaftsprüfer, Notar, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Behr Lachmann Neixler & Partner GbR
auf der Internationalen Grünen Woche 2017 in Berlin
Thema: Bodenkauf trotz Agrarpreiskrise!?
Termin: 24. 1. 2017, 11.00 – 14.00 Uhr
Ort: Messe Berlin, Großer Stern, Raum Hong Kong
Veranstalter: Redaktion agrarmanager und Briefe zum Agrarrecht, dlv Deutscher Landwirtschaftsverlag, www.agrarmanager.com
Ende 2016 ist das neue Sonderheft Bodenmarkt 8 mit aktuellen Analysen und Statistiken zum deutschen Bodenmarkt erschienen.
Bestellen Sie hier bequem online Ihr Heft.
Auf dieser CD-ROM finden Sie alle 22 Jahrgänge von Briefe zum Agrarrecht (1993 bis 2014).
Die CD bietet umfangreiche Informationen der Briefe in Beiträgen, Dokumenten und Rechtsprechung zum Agrar- und Unternehmensreh. sowie zum Bodenmarkt.
Bestellung hier.
RA Ulrich Behr, Berlin*
Sind Zinsen auf latente Altschulden gemäß § 8 Nr. 1 a GewStG hinzuzurechnen, wenn ein Unternehmen eine Ablösevereinbarung nach § 9 Abs. 2 LwAltschG abgeschlossen hat?
Altschulden für die Landwirtschaft des Beitrittsgebiets werfen noch immer Fragen auf, mit denen niemand gerechnet hatte. Jüngstes Beispiel sind Betriebsprüfungen für die Zeiträume ab 2004. Im Jahr 2005 haben etwa 1.250 Unternehmen Ablösevereinbarungen gem. § 9 Abs. 2 Landwirtschafts-Altschuldengesetz (LwAltschG) mit der BAG Bank geschlossen.1 Davon waren etwa 900 Unternehmen gewerbesteuerpflichtig.
Einige Betriebsprüfer entwickeln nun folgende These:
In dem Formular der Ablösevereinbarungen sind regelmäßig Zinsen genannt. Die Ablösezahlungen würden sich auch auf die Zinsen erstrecken. Diese Zinsen seien gemäß § 8 Nr. 1a GewStG dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen.
Das Ergebnis verwundert auf den ersten Blick, weil die Zinsen auf die Altschulden im handelsrechtlichen und im steuerrechtlichen Jahresergebnis der Unternehmen regelmäßig nicht als Aufwand/Betriebsausgabe berücksichtigt wurden. Warum soll dies nun anders sein? Die Antwort erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte und dem rechtlichen Umfeld.
I. Entstehungsgeschichte, rechtlicher Rahmen
1.
Im ersten Staatsvertrag vom 18. 5. 1990 (Währungsunion) war vorgesehen, ein D-Markbilanzgesetz zu schaffen. Das DMBilG vom 31. 8. 1990 orientierte sich an historischen Vorbildern, besonders an das DMBG 1949 und fügte einige neue Themen und Regelungstechniken hinzu. Das Konzept orientierte sich an den Bedürfnissen zur Umstrukturierung der volkseigenen Betriebe. Das politische Ziel war es damals, die VEB zu privatisieren, und zwar im Wege eines share-deal an private Investoren zu verkaufen.
Dabei stand man einmal vor dem großen Problem, wie die Werte zu ermitteln seien, und zwar sowohl die Bilanzwerte wie auch die Werte der ganzen Unternehmen. Das sollte zur Bestimmung der Preise für die Unternehmen bzw. der Gesellschaftsanteile führen.
Das andere Problem bestand in der Aufgabe, branchentypische Kapitalverhältnisse herzustellen. Kapitalverhältnis meint die Eigenkapitalquote. Der Gesetzgeber und die Treuhandanstalt (THA) stellten sich vor, die typischen Bilanzrelationen eines westlichen Unternehmens der jeweiligen Branche auf das entsprechende VEB-Nachfolgeunternehmen zu übertragen. Ein wesentliches Mittel für diese Handsteuerung war es, die Verbindlichkeiten zu gestalten.
Die THA figurierte als Konzernobergesellschaft. Sie erhielt einmal das Instrumentarium, die Verbindlichkeiten der VEB-Nachfolgeunternehmen untereinander durch Ausgleichsforderungen und -verbindlichkeiten zu verschieben. Zum anderen sollte sie direkt die Eigenkapitalquote beeinflussen können, indem sie entweder selbst oder über ein anderes Tochterunternehmen Sanierungsmittel einsetzen könnte. Das waren der Forderungsverzicht und der Rangrücktritt.
Beide Sanierungsinstrumente waren in Deutschland und international spätestens seit den 1920er Jahren bekannt und gebräuchlich.2 Findige Kaufleute hatten sie entwickelt, um ein Konkursrisiko abzuwenden, insbesondere die Überschuldung eines Kaufmanns. Damals trennte man noch nicht so streng zwischen der bilanziellen Rechnung (heute handelsrechtliche Rechnungslegung) und der insolvenzrechtlichen Überschuldungsrechnung, die jeweils eigenen Regeln folgen.
Der Forderungsverzicht gegen Besserungsversprechen verlagert die Schuld in eine bessere Zukunft. Der Gläubiger verzichtet auf seine Forderung. Der Schuldner verspricht, die Forderung (aus seiner Sicht die Verbindlichkeit) ganz oder teilweise neu zu begründen, wenn es ihm eines Tages besser geht.
Der Rangrücktritt folgt anderen Regeln. Er wirkt wie eine konkurs-/insolvenzfeste Stundung. Die Stundung einer Verbindlichkeit hätte nur die Liquidität entlastet, nicht aber die Überschuldungsrechnung. Aus der Überschuldungsrechnung hätte man die Verbindlichkeit nicht herausnehmen dürfen, weil sie als betagte Forderung mit der Eröffnung des Konkurses sofort fällig geworden wäre.3 Hieran setzte der Rangrücktritt an. Er besagt sinngemäß, dass die Forderung im Insolvenzfall nicht als Fremdkapital fällig gestellt wird, sie wird vielmehr auf einen anderen Rang direkt vor dem Eigenkapital verschoben und im Ergebnis weiterhin gestundet.
Die bilanziellen und steuerlichen Folgen dieser beiden Sanierungsinstrumente waren Ende der 1980er Jahre unklar und zutiefst umstritten. Es war eines der großen Themen des bilanzrechtlichen Schrifttums. Die damals wohl herrschende Meinung sprach sich dafür aus, die im Range zurückgetretenen Verbindlichkeiten genau so wie den Forderungsverzicht zu behandeln und aus der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung herauszuhalten bzw. auszubuchen, gewichtige Stimmen sahen dies anders.4 Der wirtschaftliche Effekt war im Hinblick auf die Insolvenzvermeidung derselbe. Der Überschuldungsstatus war entlastet, die Liquidität floss nicht ab.
Die Verfasser des DMBilG standen vor dem Problem, welche Folgen die jeweiligen Instrumente nach sich ziehen könnten. Sie klärten diesen Meinungsstreit durch das Gesetz. Sie schrieben für beide Varianten ein Passivierungsverbot vor. Für den Rangrücktritt findet sich dies in § 16 Abs. 3 DMBilG, für den Forderungsverzicht in Abs. 4 daselbst. Der Gesetzgeber wollte den Streit bewusst und gezielt nur für diejenigen Unternehmen des Beitrittsgebiets entscheiden, die eine D-Mark-Eröffnungsbilanz erstellen mussten. Ein Präjudiz für die weitere Rechtsentwicklung war damit nicht beabsichtigt.
Das Instrumentarium zur gezielten Beeinflussung der Eigenkapitalverhältnisse wurde durch andere Regeln ergänzt und abgerundet:
Die THA sollte die Möglichkeit erhalten, noch Jahre später die Kapitalverhältnisse der Eröffnungsbilanzen gezielt zu verändern. Außerdem wussten alle Beteiligten, dass die Werte der D-Mark-Eröffnungsbilanz nur vorläufig und mitunter zufällig sein konnten. Die Aktivseite wurde über die fiktiven Wiederherstellungs- bzw. Wiederbeschaffungskosten dargestellt. Die Passivseite beruhte auf einer gesetzlichen Vorgabe, nämlich die Umstellung Mark:DM = 2:1. Weil es funktionierende Märkte noch nicht gab, war es allen Beteiligten selbstverständlich, dass die Werte zu hoch oder auch zu niedrig gewesen sein konnten. Um sie zu korrigieren und um nachträglich die vorgenannten Gestaltungsinstrumente ausüben zu können, wurde die Möglichkeit der Rückwärtsberichtigung nach § 36 DMBilG geschaffen. Dabei orientierte sich der Gesetzgeber an § 76 DMBG vom 21. 8. 1949, der eine solche Korrektur für Wertpapiere vorgesehen hatte.
Sinngemäß lautete der Mechanismus:
Bei einer nachträglichen Veränderung der Werte und der Kapitalverhältnisse sollte es nicht erforderlich sein, die Eröffnungsbilanz und die Folgebilanzen aufzuheben, zu ändern, zu prüfen und neu festzustellen. Das war ein fiktiver Rückbezug, ganz gleich, ob für einen Forderungsverzicht oder für eine Rangrücktrittsvereinbarung (RRV). Er ermöglichte es zugleich, das System der Ausgleichsforderung und -verbindlichkeiten rückwirkend zu gestalten.
Steuerlich waren beide Sanierungsinstrumente für alle Beteiligten neutral und gleichwertig. Beim „normalen“ Forderungsverzicht und dem Ausbuchen einer Verbindlichkeit beim Schuldner gab es die Möglichkeit des steuerfreien Sanierungsgewinns nach § 3 Nr. 66 EStG a. F.. Für das DMBilG kam es darauf nicht an, weil auch der spätere Erlass oder das spätere Ausbuchen auf die Eröffnungsbilanz zurückwirkte und nicht über die GuV geführt wurde.
Der Gesetzgeber räumte gezielt die Möglichkeit einer Überbewertung ein. Dadurch wollte er bilanzpolitischen Spielraum insbesondere beim Abschreibungsvolumen eröffnen. Man hoffte, Investoren einen steuerlichen Anreiz zu bieten. Die weitere flankierende Maßnahme war das Auszahlungs-/Entnahmeverbot. Den Gesellschaftern (besonders den Käufern der Unternehmen) sollte es verboten sein, das Eigenkapital zu entnehmen. Man wollte damit verhindern, dass Investoren ein Unternehmen erwerben, „ausplündern“ und schließen. Diese Auszahlungssperre findet sich in § 27 Abs. 2 und Abs. 3 DMBilG in der ursprünglichen Fassung, sie wurde später auf Betreiben der Investoren mehrfach gelockert.
Was man damals nicht gesehen hatte: Die Auszahlungssperre hatte eine Entsprechung in Art. 33 Abs. 2 der Bilanzrichtlinie (4. EG-Richtlinie vom 25. 7. 1978). Es ist die Neubewertungsrücklage. Der europäische Richtliniengesetzgeber hatte für andere Konstellationen die Gefahr gesehen, dass bei einer (in Deutschland nicht üblichen) Bewertung nach Marktwerten Gewinne ausgeschüttet werden könnten, die nicht am Markt realisiert waren. Deswegen sah er die Sperre für alle unmittelbaren oder mittelbaren Auszahlungen aus dieser Rücklage vor.
2.
Als der Einigungsvertrag verhandelt wurde, hatte man die Schulden der Landwirtschaft des Beitrittsgebiets übersehen. Es ging um ein Volumen von ca. 7,6 Mrd. DM. Die Beteiligten hatten nur die THA und mitunter die Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) im Auge, an die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) dachte man zunächst nicht. Erst in letzter Minute schuf man eine beiläufige Erwähnung in Art. 25 Abs. 3 Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990. Das DMBilG war dem Einigungsvertrag als Anlage beigefügt.
Ende 1990/Anfang 1991 begannen das BMLEF und das BMF, das Versäumnis nachzubessern, um den Konkurs/ die Gesamtvollstreckung der meisten LPG zu verhindern. Zunächst wurde ein Teil der Zinsen erlassen. Dann wurde ein Moratorium ausgesprochen (zivilrechtlich also eine Stundung). Danach sollte ein Teil der Schulden aus Überschüssen der THA abgedeckt werden. Die verbleibenden Schulden sollten wie in einer Auffangposition durch das System der RRV abgemildert werden. Die Beteiligten griffen dabei auf das oben geschilderte Konzept zurück, welches für die Zwecke der THA entwickelt worden war, nämlich die später so genannte bilanzielle Entlastung nach § 16 Abs. 3 DMBilG.
Die miteinander verwobenen Maßnahmen wurden in einer „Arbeitsanweisung“ festgehalten, die nicht förmlich veröffentlicht war. Das BMF formulierte eine interne Vorlage für den Text einer RRV. Rechtsnachfolger des Gläubigers war im vor allem die DG Bank, daneben mehrere Raiffeisenbanken. Federführend für die Organisation der Altschulden und für die Formulierung der Texte war die DG Bank, hinter ihr stand das BMF. Die DG Bank hielt sich genau an den intern gemeinten Text des BMF und setzte ihn nahezu wörtlich in die formularmäßigen RRV um. Der Text dieser RRV war sprachlich und inhaltlich schwer zu verstehen. Dass er von dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 DMBilG abwich und an vielen Stellen weitere Zweifel weckte, ließ sich damals nicht diskutieren. Die Finanzverwaltung nahm es als selbstverständlich an, dass die Altschulden und deren Zinsen rückwirkend ab der DM-EB nicht zu berücksichtigen sind.5
Ein Grund für die intensive Auseinandersetzung um die Erfassung der im Range zurückgetretenen Verbindlichkeiten im Rechnungswesen lag in der Vermögensauseinandersetzung mit früheren LPG-Mitgliedern. Mit der Novelle des LwAnpG wurde in § 44 Abs. 6 S. 2 LwAnpG in der Fassung 1991 sinngemäß vorgeschrieben, dass die im Range zurückgetretenen Verbindlichkeiten zwar als Eigenkapital anzusehen seien, sie seien aber für die Ermittlung des verteilbaren Vermögens nicht zu berücksichtigen. In der Folgezeit war zutiefst umstritten, ob die latenten oder die bis zum Abschluss der RRV auch im Buchwerk aufgelaufenen Zinsen bei der Ermittlung des so genannten abfindungsrelevanten Eigenkapitals als Schuldposten zu berücksichtigen seien.
Vor dem Hintergrund der damaligen Empörung und der Atmosphäre für die Ermittlung der Abfindungen wundert es nicht, dass es keine veröffentlichte Entscheidung gibt, die die Zinsen auf die Altschulden bei der Ermittlung des Eigenkapitals abzieht. Der Konflikt zu § 27 Abs. 2 bis Abs. 5 DMBilG (Auszahlungssperre) haben einige Berater und Gutachter zwar gesehen, konnten sich aber nicht Gehör verschaffen. Dass § 44 LwAnpG gegen die 4. EG-Richtlinie verstoßen könnte, hat man damals als abwegig abgetan. Heute würde man das anders sehen.
3.
Die RRV sahen in ihrer Ziffer 6 unter anderem vor, dass die Unternehmen sinngemäß 20 % des handelsrechlichen Jahresüberschusses zuzüglich der Körperschaftsteuer und der nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben an die Bank abführen müssen. Die Gewerbesteuer konnte indes abgezogen werden. Hinzu trat die vermeintlich wirksame Pflicht, das sog. nicht betriebsnotwendige Vermögen zu veräußern und den Erlös zusätzlich zur 20?%-Regel an die Bank abzuführen. Dadurch sind häufig hohe Beträge an die Gläubigerbank geflossen.
Die Zahlungen wurden nach einer in den RRV vorgegebenen Tilgungsformel teils auf die Zinsen, teils auf die Hauptschuld verrechnet. Es ist nicht bekannt geworden, dass ein Finanzamt jemals die damit wieder aufgelebten anteiligen Zinsen nach § 8 GewStG hinzugerechnet hätte. Man kann also von einer ständigen Verwaltungspraxis sprechen.
4.
Der Umgang und das Verständnis der eingangs beschriebenen Instrumente entwickelte sich ab Mitte der 1990er Jahre bei solchen Unternehmen, die eine DM-EB nicht aufgestellt hatten, für die also § 16 Abs. 3 DMBilG nicht greift.
Heute ist die Struktur klar, die damaligen Streitpositionen sind erledigt und haben sich vor dem Hintergrund von Gesetzesänderungen etwas verschoben.6
Ein Forderungsverzicht gegen Besserungsversprechen wird beim bilanzierenden Unternehmen ausgebucht, und zwar über Ertrag. Tritt der Besserungsfall ein, wird die Forderung über Aufwand neu eingebucht. Beim Gläubiger war der Verzicht ursprünglich Aufwand, bei der Neubegründung gerät er zum Ertrag. Die Zinsen werden nicht erfasst. Eine nicht existierende Forderung kann Zinsen nicht abwerfen. Im Anhang zum handelsrechtlichen Abschluss wird dieser Umstand zwar erwähnt, auf das Jahresergebnis wirkt er sich aber nicht aus. Es ist nicht bekannt geworden, dass fiktive Zinsen auf eine wiederaufgelebte oder neu begründete Forderung als Gewerbeertrag jemals hinzugerechnet worden wären.
Wie man mit einem Rangrücktritt umgeht, ist inzwischen ebenfalls weitgehend klar:
Insolvenzrechtlich wird der Überschuldungsstatus nur bereinigt, wenn die Erklärung des Gläubigers „qualifiziert“ ist.7 Sie muss insbesondere bestimmen, von welchem Rang in welchen Rang der Gläubiger zurücktritt.8 Im handelsrechtlichen Abschluss werden die Schuld und die Zinsen auf die Schuld weiterhin gezeigt, sie mindern damit das Ergebnis, ohne dass es zu einer Auszahlung kommt. Steuerrechtlich wird dieser Aufwand nur anerkannt, wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass der Schuldner eines Tages die Verbindlichkeit ganz oder teilweise wird bezahlen müssen oder können. Anderenfalls würden die Zinsaufwendungen das steuerliche Ergebnis nicht mindern.9
5.
Bei § 16 Abs. 3 DMBilG ist es zweifelhaft, ob diese Vorschrift mit der Bilanzrichtlinie/4. EG-Richtlinie vereinbar ist. Die Richtlinie verlangt, dass die Schulden vollständig anzugeben sind. Wahlrechte für die Mitgliedstaaten sind insoweit nicht vorgesehen. Ursprünglich hatten sich der Gesetzgeber und die Praxis die Frage nicht gestellt, weil sich die Bilanzrichtlinie nur auf Kapitalgesellschaften der Mitgliedstaaten bezog. Die VEB und LPG und deren Nachfolgeunternehmen waren indes nicht Kapitalgesellschaften. Außerdem war unklar, ob das Beitrittsgebiet dem örtlichen Geltungsbereich der 4. EG-Richtlinie unterfallen könnte oder ob der Einigungsvertrag am Maßstab des Gemeinschaftsrechts zu messen war.
Die Vorfragen sind im Ergebnis der Entscheidung BIAO des EuGH10 beantwortet. Daraus kann man ableiten, dass die 4. EG-Richtlinie jedenfalls für die Folgebilanzen zwingend gilt, und zwar unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens, wenn nur ein mittelbarer Bezug auf die handelsrechtliche Rechnungslegung besteht. Es genügte die Maßgeblichkeit für das Steuerrecht, und zwar auch im Hinblick auf die deutsche Gewerbesteuer. Bei der Vermögensauseinandersetzung hätte der Verweis auf die ordentliche Bilanz in § 44 Abs. 6 LwAnpG genügen müssen. Diese Umstände hat die Rechtspraxis der Zivilgerichtsbarkeit (Landwirtschaftsgerichte) und der Finanzgerichtsbarkeit bislang nicht wahrnehmen wollen, ebenso der Gesetzgeber bei der Formulierung des Landwirtschaftsaltschuldengesetzes.
6.
In seinem Altschuldenurteil vom 8. April 1978 erklärte das BVerfG11 sinngemäß, dass das Thema durch ein Parlamentsgesetz hätte geregelt werden müssen. Die Belastung der Unternehmen hatte gegen den Gesetzesvorbehalt und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Das Gericht ließ es offen, ob Altschulden eine zivilrechtliche Verbindlichkeit gewesen seien oder ob sie den öffentlich-rechtlichenCharakter einer Abgabe gehabt hätten. Das BVerfG erklärte jedoch, dass der Verstoß für eine gewisse Übergangszeit toleriert werden könne. Zur Begründung führte es aus, dass die beteiligten Ministerien gezielt das Instrument des Rangrücktritts, besonders der so genannten bilanziellen Entlastung nach § 16 Abs. 3 DMBilG gewählt hätten. In dem Verfahren vor dem BVerfG ist nicht zur Sprache gekommen, ob das System des § 16 Abs. 3 DMBilG seinerseits möglicherweise verfehlt oder gemeinschaftswidrig gewesen sei.
Der Gesetzgeber holte ein Gutachten12 ein, er setzte die Vorgaben des BVerfG in dem LwAltSchG 2004 indes nur teilweise um. Er hätte das gesamte Thema durch ein Parlamentsgesetz regeln müssen. Er beschränkte sich jedoch auf den zivilrechtlichen Teil. Die steuerrechtlichen Folgewirkungen regelte er nicht. Es handelte sich um eine bewusste Gesetzeslücke, zumal die Beteiligten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf das Defizit immer wieder hinwiesen.
Die Versäumnisse zeigten sich an mehreren Stellen. Dazu gehört z.B. die Erfassung und mittelbare Besteuerung von Kommanditisten, wenn frühere LPG-Mitglieder im Zuge der Umwandlung einer Kommanditgesellschaft beigetreten waren und später nach dem Mechanismus des LwAnpG ausschieden. Die Abfindung nach § 44 LwAnpG war regelmäßig niedriger als der Buchwert ihrer Beteiligung, wenn man die Altschulden nicht als Schuld, sondern wegen des Passivierungsverbots wie Eigenkapital behandelt. Das führte zu dramatischen Belastungen der verbleibenden Gesellschafter. Betroffen waren die Gesellschafter von etwa 350 Unternehmen in der Rechtsform der GmbH & Co. KG. Der Gesetzgeber hätte dieses Problem regeln müssen. Es spricht außerdem vieles dafür, dass die steuerlichen Wirkungen gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstoßen.
7.
Die inneren Widersprüche des Systems führten zu Entscheidungen, die mitunter in eine andere Richtung weisen. Zwei Senate des BFH stellten fest, dass die formularmäßigen RRV mit dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 DMBilG nicht vereinbar sind.13 Deswegen greife das Passivierungsverbot nicht. Ob § 16 Abs. 3 DMBilG seinerseits mit dem Gemeinschafts-?/?Unionsrecht vereinbar ist, hat der BFH bislang noch nicht thematisiert. Das wäre das Thema einer Vorlagefrage nach Art. 267 AEUV.
§ 8 GewStG verstößt zwar nicht gegen die europäische Zins-Richtlinie.14 Damit ist aber noch nicht gesagt, ob das System des Rangrücktritts zu einem Passivierungsverbot hätte führen dürfen. Es spricht vieles dafür, dass dies mit dem damaligen europäischen Bilanzverständnis und mit den späteren Regeln von IAS/IFRS nicht vereinbar ist.15 Ein Verstoß würde zwar nicht zu einer Besteuerung der Unternehmen führen, weil begünstigende Regelungen des nationalen Rechts auch dann für die Bürger gelten, wenn sie gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. Gleichwohl kann die falsche Konzeption dazu führen, dass für die betroffenen Unternehmen ein Schadensersatzanspruch erwächst wegen Ungleichbehandlung. Ein solcher unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch wegen legislativen Unrechts ist für die Benachteiligung der Kommanditisten bei der Besteuerung der Scheingewinne greifbar. Für das hiesige Thema der Hinzurechnung von Zinsen liegt es nahe, dass ein solcher Entschädigungsanspruch vorliegt, der jedenfalls im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung nach §§ 163, 227 AO zu berücksichtigen ist.16
8.
Das Altschuldengesetz verfolgt einen eigenen Lösungsansatz:
Die Unternehmen sollen ihre Belastungsgrenze nicht erreichen. Es sollen nur die entziehbaren Beträge abgeführt werden, das tragende Konzept war die „Leistungsfähigkeit“.17 Die in den nächsten Jahren voraussichtlich entziehbaren Beträge werden kapitalisiert und führen zu dem Ablösebetrag. Hierfür wurde ein eigenes Rechenwerk organisiert, um die Unternehmen miteinander vergleichbar zu machen. Die Ablösezahlung orientiert sich nicht an der Höhe der jeweiligen Belastung (Restschuld nebst Zinsen). Das bildet nur die Obergrenze einer Zahlung. Im übrigen hatten sie mit der Ermittlung des Ablösebetrages nichts zu tun.
Die BAG als Nachfolgerin der Gläubigerbanken schrieb den Text der Ablösevereinbarungen zwingend vor. Die Bezifferung von Hauptschuld und Zinsen hatte sinngemäß ein statistisches Anliegen wie in einer Präambel. In den Texten der Ablöseformulare wurde nicht ausdrücklich geregelt, welche Zahlungen auf Zinsen und welche auf die Hauptschuld erfolgen sollen. Auf die Tilgungsbestimmung der RRV kann man nicht zurückgreifen. Vielmehr wurden die RRV und alle ihre Regelungen eigens aufgehoben, also auch die zu Zins und Tilgung.
Die Ablösezahlung ist eine eigene, neu begründete Schuld eigener Art. Buchhalterisch treten die im Range zurückgetretenen Beträge bis zur Höhe des Ablösungsbetrages erstmals auf, sie werden über Aufwand eingebucht. Die weiteren Beträge, auf die die Bank endgültig verzichtet, wurden regelmäßig nicht erfasst, insbesondere nicht als Ertrag. Das Problem stellt sich nur bei solchen Unternehmen, bei denen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 DMBilG nicht gegeben waren (zum Beispiel bei fehlgeschlagenen Umwandlungen).
Damit hat die latente, im Range zurückgetretene Schuld ihren Charakter geändert. Man sollte von einer „Wiedergeburt“ sprechen, nicht von einem „Wiederaufleben“. Zinsen gibt bei einer Neubegründung naturgemäß nicht. Somit gibt es nichts, was bei dem Gewerbeertrag hinzugerechnet werden könnte.
9.
Wollte man das anders sehen, so müsste man prüfen, ob es sich bei dem jeweiligen Posten der jeweiligen Altschuld eines Unternehmens seinerzeit um solche Kredite gehandelt hatte, die der Finanzierung von bestimmten Anschaffungskosten dienten.18 Das lässt sich im Einzelfall kaum feststellen, eine Überleitung zum Ablösebetrag kann praktisch nicht gelingen. Außerdem tritt die ungeklärte Frage nach dem rechtlichen Charakter der Altschulden wieder auf. Waren es Abgaben, so können sie auch dann nicht als Dauerschulden i.S.d. § 8 GewStG angesehen werden, wenn sie langfristig gestundet sind und hierfür Zinsen anfallen.
II. Lösung
Die Antwort findet sich auf mehreren Ebenen:
_______________________________
Quellen: