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Prof. Dr. Manfred Köhne, Göttingen

Ergänzung zu dem Beitrag von Karg, Spinda und Uherek in NL-BzAR 3/2011, S. 99–104

Die Autoren stützen sich auf die Urteile des Kammergerichts Berlin vom 26. 8. 2010 und das Urteil des EuGH vom 16. 12. 2010 und leiten daraus die Bestätigung ihres bisherigen Standpunkts ab, dass nämlich bei der o. a. Wertermittlung im Rahmen des Vergleichswertverfahrens nicht nur Vergleichspreise aus offenen Angebotsverfahren, sondern grundsätzlich auch alle Drittverkaufspreise einzubeziehen sind. Dies bedarf ergänzender Anmerkungen. Denn so sicher, wie von den Autoren unterstellt, ist dieser Standpunkt sowohl sachlich also auch rechtlich nicht. Es bestehen vielmehr beträchtliche Unsicherheiten.

1. Zur Wertermittlung

Die wiederholte ausführliche Erörterung der Begriffsdefinitionen Verkehrswert und Marktwert ist überflüssig. Denn die Identität dieser Begriffe bestreitet niemand. Worum es geht, ist die Ausfüllung des Vergleichswertverfahrens mit Vergleichspreisen bei dem hier anstehenden Anlass. Dazu ist die Grundstücksmitteilung der EU vom 10. 7. 1997 zu berücksichtigen.

Danach sollen nur solche Vergleichspreise herangezogen werden, die aus offenen Angebotsverfahren resultieren. Solche Verfahren sind nicht nur die Ausschreibungen der BVVG, was einige Diskutanden wider besseren Wissens behaupten. Dazu gehören auch Anzeigen in Zeitungen, Anbieten im Internet und die Vermittlung über breit tätige Makler. Auch die Preise aus Direktverkäufen der BVVG sind einzubeziehen. Es ist unverständlich, warum die Autoren mir unterstellen, dass ich die Direktverkaufspreise außen vor lassen möchte. Deren Einbezug habe ich in meinen bisherigen Stellungnahmen1 befürwortet und dies auch begründet.

Die Autoren ziehen erneut in Zweifel, dass europäisches Recht über dem nationalen Recht steht. Dies ist dagegen eine bekannte Tatsache. Sie wird auch durch die Urteile des Kammergerichts Berlin (KG Berlin) und durch das Urteil des EuGH bestätigt.

Das KG Berlin arbeitet jedoch mit einem Trick. Es setzt „marktangepasstes Aushandeln“ mit „offenem Anbieten am Markt“ gleich. Dies ist sachlich unzutreffend. Dazu nur ein Beispiel: Wenn ein Verpächter einer kleinen Fläche diese an den bisherigen Pächter veräußert, geschieht dies meistens ohne offenes Anbieten am Markt, also auf kurzem Wege. Dabei wird der Verkäufer häufig (mangels Marktkenntnis allerdings nicht immer) versuchen, einen möglichst günstigen Preis auszuhandeln. Dieser Preis entspricht als Vergleichspreis nicht der EU-Vorgabe. Viele Preise kleiner landwirtschaftlicher Flächen kommen auf diese Weise zustande. Trotzdem werden sie häufig in Gutachten einbezogen. Die skizzierte Gleichsetzung des KG Berlin ist also unsicher.

Die Politik hätte im Sinne des EU-Rechts Klarheit schaffen können. Dazu hätte sie in § 5 Abs. 1 FlErwV ergänzend feststellen können, dass der Verkehrswert unter Berücksichtigung der Grundstücksmitteilung der EU unter ausschließlicher Berücksichtigung von Vergleichspreisen aus offenen Angeboten zu ermitteln ist. Das ist absichtlich nicht geschehen. Dazu passt auch Folgendes: Der Wertermittlungsbeirat bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hatte Ende 2010 den Entwurf eines neuen Auftragsschreibens seitens der BVVG an die Sachverständigen erarbeitet, dass das bisherige unklare und streitanfällige Schreiben ersetzen sollte. In dem Schreiben wurde die Berücksichtigung der EU-Grundstücksmitteilung präzisiert. Der Entwurf wurde von drei ostdeutschen Landwirtschaftsministerien (vermutlich in Abstimmung mit den restlichen zwei Ministerien) abgelehnt. Man möchte sich offensichtlich an der EU-Regelung vorbeimogeln. Dabei hofft man vermutlich, dass höhere Instanzen (s.u.) dies nicht ausbremsen. Ob dies aufgeht, ist ebenfalls unsicher.

2. Zu den Urteilen des KG Berlin vom 26. 8. 2010

Das KG akzeptiert die Höherrangigkeit des Europarechts und speziell auch die Forderung, dass die Vergleichspreise aus offenen Angeboten resultieren sollen. Es wendet jedoch den zuvor skizzierten Trick an, womit grundsätzlich alle Drittverkaufspreise, insbesondere die bei den Gutachterausschüssen verfügbaren, zu berücksichtigen sind. Es verhält sich damit so, wie es Lorz (Professor für öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht in Düsseldorf) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. 2. 2011, S. 8 folgendermaßen umschreibt: „Einige deutsche Fachgerichte haben inzwischen subtile Strategien entwickelt, um die Pflicht zur Vorlage europarechtlicher Streitfragen an den EuGH zu vermeiden. Sie verneinen nicht mehr pauschal die Existenz einer europarechtlichen Frage – und damit ihre Vorlagepflicht – oder stellen sich gar offen gegen eine europäische Rechtsprechung. Stattdessen behaupten sie einfach, im Einklang mit dem Europarecht zu handeln.“ Das Bundesverfassungsgericht, das solche Verfahrensweisen eigentlich unterbinden soll, kommt nach Lorz dieser Aufgabe nur unzureichend nach.

Das KG hat in beiden behandelten Fällen die Revision nicht zugelassen. Die BVVG hat für einen der Fälle eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingereicht. Wenn der BGH die Revision zulässt und später in der Sache entscheidet, kann ein anderes Ergebnis dabei herauskommen. Nicht auszuschließen ist auch, dass dieser oder ein anderer Fall vor dem EuGH landet. Auch dort könnte eine Entscheidung anders sein. Schließlich ist es denkbar, dass sich die BVVG mit der Bitte um eine entsprechende Stellungnahme direkt an die EU-Kommission wendet. Auch in diesem Fall könnte es eine Abweichung gegenüber dem KG Berlin geben. Aus all dem folgt, dass die gegenwärtige durch die Urteile des KG Berlin geschaffene Rechtslage keinesfalls sicher ist.

3. Zum Urteil des EuGH vom 16. 12. 2010

Beide Seiten, d.h. die Gegner und die Befürworter der Beachtung des offenen Marktangebots, interpretieren dieses Urteil in ihrem Sinne. Dabei spielt auch die Kunst des Weglassens eine Rolle. Der EuGH hatte in dem ihm vorgetragenen Fall zu urteilen, ob die regionalen Wertansätze für die Kaufpreisfindung geeignet sind. Dies hat er verneint, weil die regionalen Wertansätze nicht dem aktuellen Marktgeschehen entsprächen. Der EuGH lässt verschiedene Wege zur Ermittlung des Marktwertes zu, wenn sie denn möglichst nahe an die aktuellen Marktpreise heranreichen.

Der Gerichtshof hat sich zu der speziellen Forderung der Grundstücksmitteilung nach Vergleichspreisen aus offenen Angeboten nicht geäußert. Das war auch nicht seine Aufgabe. Er hat nur einige allgemeine Grundsätze herausgestellt. Einer wurde soeben erwähnt: Es können verschiedene Wege der Wertermittlung zulässig sein, wenn sie denn zu dem Ergebnis führen, dass der ermittelte Wert dem aktuellen Marktgeschehen möglichst nahe kommt. Insoweit steht das EU-Beihilferecht nationalen Regeln der Wert­ermittlung nicht entgegen. Der EuGH hat aber auch Folgendes ausgeführt: Das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt, dass ein nationales Gericht das gesamte nationale Recht berücksichtigt, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass es nicht zu einem dem Unionsrecht zuwiderlaufenden Ergebnis führt. Und: Nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden obliegt die Verpflichtung, eine gegen das Unionsrecht verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen. Zu beiden Forderungen besteht im Hinblick auf das hier zu erörternde Thema Interpretationsspielraum. Die Forderungen deuten jedoch stark auf die gebotene Berücksichtigung der spezifischen Regeln der EU-Grundstücksmitteilung hin. Die Ausführungen des Gerichtshofs stärken also keinesfalls die Position, die das KG Berlin und mit ihm die Autoren des Bezugsartikels vertreten. Auch hier bestehen Unsicherheiten.

4. Zum Schätzungsausschuss

Die Autoren schlagen vor, in Streitfällen zwischen der BVVG und Käufern künftig einen Schätzungsausschuss heranzuziehen. Solche Schätzungsausschüsse gibt es seit langem, vor allem bei Pachtübergaben. Sie haben oft zu einvernehmlichen Lösungen geführt. Das gilt allerdings nicht immer, wie entsprechende Gerichtsverfahren zeigen. Wenn diesem Gedanken näher getreten wird, ist zunächst zu klären, ob die BVVG als öffentliche Einrichtung sich vorweg dem Votum eines solchen Ausschusses unterwerfen darf.

In diesem Zusammenhang wie auch im Rahmen der gesamten hier erörterten Problematik darf schließlich nicht die Bedeutung des Rechnungshofes übersehen werden. Wenn die BVVG einen Preis vereinbart, der deutlich unter Ausschreibungsergebnissen und/oder Direktverkaufspreisen in ähnlichen Fällen liegt, dann kann die BVVG oder können auch die verantwortlichen Mitarbeiter Probleme mit dem Rechnungshof bekommen.

5. Ein Kompromissvorschlag

Die gegenwärtige Rechtslage wird durch die Urteile des KG Berlin bestimmt – solange nicht höhere Instanzen (der BGH, der EuGH oder auch die EU-Kommission) etwas anderes vorschreiben. Es sind also gegenwärtig neben den Preisen aus Ausschreibungen und Direktverkäufen der BVVG grundsätzlich auch alle Drittverkaufspreise in die Wertermittlung einzubeziehen. Letztere liegen vor allem bei den Gutachterausschüssen vor. Meines Erachtens sollten die Vergleichspreise aus Verkäufen kleiner Flächen – etwa unter 2 ha – möglichst ausgeklammert werden. Wenn noch genügend Preisdaten verbleiben, kann diese Grenze auch höher angesetzt werden. Da es sich bei den Direktverkäufen der BVVG (für die ja zu bewerten ist) oft um größere Flächenlose handelt, passen die Verkaufspreise kleiner Flächen ohnehin nicht. Trotzdem werden sie von Sachverständigen oft hinzugezogen. Die Kluft zu größeren Flächenlosen wird dann (was auch das KG Berlin empfiehlt) durch einen größenbedingten Preisaufschlag überbrückt. Bei einer Größenspanne von um die 2 ha (und weniger) bei den Vergleichspreisen und um die 100 ha (und teils auch noch mehr) bei den zu bewertenden Flächenlosen ist der Preisaufschlag ein sehr unsicheres Unterfangen. Sachgerecht sind, zumindest annähernd, horizontale Preisvergleiche. Wenn jedoch seitens der BVVG kleine Flächen zur Veräußerung anstehen, wie es öfters bei Grünlandflächen der Fall ist, dann ist die Heranziehung von Vergleichspreisen kleiner Flächen angebracht. Dieser Vorschlag könnte auch dann ein pragmatischer Kompromiss sein, wenn die Forderung nach offenem Angebot bei den Vergleichspreisen einzuhalten wäre, da die Erfüllung dieser Forderung bei den meisten Drittverkaufspreisen nicht bekannt ist.